Noch in den Kinderschuhen: Physiotherapie bei ADHS als Therapiekonzept nutzen?

Die Anzahl der Kinder, bei denen ADHS oder ADS diagnostiziert wurde, ist in den letzten Jahren im Vergleich zu vor 20 Jahren um ein zig-faches gestiegen. Weil zur Therapie vor allem auf hoch wirksame aber auch die Psyche verändernde Medikamente gesetzt wird, kritisieren viele Experten die hohe Anzahl der Diagnosen und behandelten Kinder. Bisher kaum eingesetzt wird die
Physiotherapie als Behandlungsmaßnahmen. Dabei gibt es durchaus viele Hinweise darauf, dass die Physiotherapie die Symptome bei ADHS/ADS lindern kann. Eine Studie an der Universität Dresden soll diese Annahme nun auch belegen.

ADHS und ADS – eine Modeerscheinung?

Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom ADS sowie auch die mit Hyperaktivität verbundene Form ADHS haben in den letzten Jahren an Bedeutung stark zugenommen. Während die beiden Krankheiten noch Anfang der 90er Jahre nur 1500 mal in ganz Deutschland diagnostiziert wurden, liegt der Anzahl der betroffenen Kinder heute bei geschätzten 600.000 Kindern und Jugendlichen. Zugleich hat auch der Absatz von den zur Therapie eingesetzten Psychopharmaka um das 150fache zugenommen. Mit dem Maß der Neudiagnosen nehmen aber auch die Kritik und der Zweifel an der Richtigkeit dieser Diagnosen zu. So mancher spricht von Modeerscheinung, die mit den immer höher werdenden Ansprüchen an die Leistungsfähigkeit der Kinder einhergeht. Klar ist, ADHS und ADS können sich bei jedem Kind anders und in verschiedenen Schweregraden äußern. Die Behandlung muss darauf abgestimmt werden.

Wie lässt sich ADHS erklären?

Was genau im kindlichen Körper bei ADHS/ADS passiert, ist nicht abschließend geklärt. Unstrittig ist, dass die Fähigkeit sich selbst zu steuern und regulieren vermindert ist. Als Grund dafür nimmt man ein Defizit in der zentralen Hemmung an – verursacht durch eine Dysregulation von Neurotransmittern auf Stammhirnebene. Weil das Frontalhirn in seiner normalen Funktionsweise beeinträchtigt ist, haben die Kinder Probleme in der Planung und Steuerung von Verhalten sowie bei der Koordination kognitiver Leistungen wie Lernen und Planen. Aber nicht nur Lösungsprozesse machen den Kindern Probleme, sondern auch die emotionale Ebene und die motorischen Fähigkeiten leiden unter dem Ungleichgewicht der Neurotransmitter im Gehirn.

Körperliche Symptome und Schwierigkeiten bei ADHS

Die körperlichen Schwierigkeiten, die ADHS/ADS begleiten können, sind ebenso unterschiedlich und variabel wie alle anderen Symptome. Viele ADHS-Kinder leiden unter Untergewicht, da sie sich übermäßig viel bewegen und beim Essen zu unkonzentriert oder aber auch zu wählerisch sind. Andere Kinder, deren Aufmerksamkeitsdefizit beispielsweise nicht durch eine Hyperaktivität begleitet wird, leiden unter Gleichgewichtsstörungen oder anderen motorischen Einschränkungen.

Die Idee der Physiotherapie bei ADHS

Üblicherweise wird ADHS/ADS vor allem medikamentös behandelt. Neben den Psychostimulanzien kommen auch andere Behandlungsmaßnahmen wie die Psychotherapie oder heilpädagogische Übungsbehandlungen zum Einsatz. Abhängig von den Problemen werden auch die Ergo- und Sprachtherapie sowie die Psychomotorik herangezogen. Einige Kinder, die beispielsweise an Gleichgewichtsstörungen litten, wurden zudem physiotherapeutisch behandelt. Interessanterweise verbesserten sich dabei nicht nur die motorischen Symptome und Schwierigkeiten sondern auch die psychische Ebene der betroffenen Kinder. Sie wurden ruhiger, verbesserten ihre Selbstkontrolle und steigerten ihre Konzentrationsfähigkeit.

Studie soll Wirksamkeit belegen

Eine groß angelegte Studie soll nun belegen, dass die physiotherapeutische Behandlung der ADHS/ADS Kinder nicht nur deren motorischen Fähigkeiten auf die Sprünge hilft sondern auch der psychischen Steuerungsfähigkeit und dem Konzentrationsvermögen. Experten gehen davon aus, dass die Stimulation des muskulären Systems durch bestimmte Übungen auf das zentrale Nervensystem zurück wirkt und so eine weitaus umfassendere Wirkung hat als nur die motorischen Verbesserungen. Momentan liegt die zentrale Aufgabe der Physiotherapie bei ADHS/ADS bei Erkennen und Behandeln von Funktionsstörungen sowie der Erfahrung der körperlichen Selbstkontrolle bei der Funktionsfähigkeit des Körpers. In einer Studie sollen nur ADHS/ADS Kinder die Chance haben, zweimal pro Woche für 45 Minuten physiotherapeutisch unterstützt zu werden. Die Ergebnisse werden mit Sicherheit von vielen Ärzten und Physiotherapeuten mit Spannung erwartet.

Fazit: Gerade beim Kind lässt sich die enge Verbindung von Körper und Geist aktiv nutzen, um über eine Stimulation der körperlichen Funktionsfähigkeit, Zugang zum Geist zu finden. Mit der groß angelegten Studie könnte nun zum ersten Mal ein deutlicher Nachweis für die Nutzbarkeit der Physiotherapie bei der Behandlung von ADHS/ADS Kindern gelingen.