Hallo,
habe folgenden Artikel im Netz gefunden. Finde ihn sehr interessant und bedenkenswert. Der Text ist gekürzt, die vollständige Version gibt es hier zu sehen:
http://www.google.de/search?q=Wirksa...&start=30&sa=N
Placebo: Geschichte, Wirkungsweise und die Bedeutung in der Physiotherapie
Jede praktizierende Physiotherapeut/in trifft in der täglichen Arbeit die vielen Gesichter des Placebophänomens an. Patienten werden schneller besser als erwartet, manche sogar mit uns rätselhafter Therapie...Praktikanten erreichen bessere Resultate als Experten obwohl sie über weniger Wissen und Erfahrung verfügen...manchmal scheint der Patient alleine von der Untersuchung zu profitieren. Alle Jahre wieder gibt es eine neue Methode, die bemerkenswerte Resultate zu erzielen scheint... Ab und zu wird der Patient gar nicht besser...
Einleitung
Placebo ist ein ernsthaftes Thema; lindert es doch Schmerzen besser als irgendein anderes Mittel... Geht man von Studien aus, so ist die Bedeutung von Placebo immens. Durchschnittlich basieren die Wirkungen von verschiedenen medizinischen Anwendungen von einem bis zu zwei drittel auf Placebo...
Für uns Physiotherapeuten ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Placebo von grösster Wichtigkeit, zumal man sich nicht davor scheuen, sondern es adäquat anwenden können. Akkurate, exakte Überprüfung und Erklärung der Diagnose umhüllt den Placebo-Effekt und erzeugt einen positiven “add-on“ Effekt auf die Behandlung. Schlüsselwörter: “Beliefs“, Effekt, Physiotherapie, Placebo
Placebo
Das Wort Placebo stammt aus dem lateinischen und heisst: “zu gefallen, Gefallen geben, anerkannt, vertraut, akzeptiert sein, zu passen, zufrieden stellen“... Ein in experimentellen Studien benutztes Placebo ist eine Substanz, die keine Wirkung auf die zu behandelnde Kondition hat. (Shapiro & Shapiro 1997).
In der psychologischen Literatur wird Placebo gleichgestellt mit „nonspezifischer Faktor“ (Shepherd & Sartorius 1989), ausführlich diskutiert bei Grünbaum (1989).
Nonspezifische Faktoren können zahlreicher Art sein. Die Beziehung, Empathie, Wärme, Echtheit, Patient-Therapeut-Zusammengehörigkeit, therapeutisches Setting (Bücher, Diploma, Bilder an der Wand) können nonspezifische Faktoren sein, die bewusst oder unbewusst eingesetzt werden (Frank 1989). Noch mehr das Ritual in Form von Teilnahme an der Therapie, schon selbst die Entscheidung, den Arzt aufzusuchen, haben Wirkung auf die Therapie, die noch nicht einmal angefangen hat. Im weiteren sind Geruch, Stimme, Berührung oder visuelle Signale alle signifikant (Wall 1994)
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Die Geschichte des Placebo
...In China hielt die Anwendung von Akupunktur schon vor zweiundhalb Tausend Jahren Einzug. Es ist aber wahrscheinlich, dass sie in der Geschichte mehr Leute umgebracht als geheilt hat , da durch unsterilisierte Nadel Gelbsucht für Jahrhunderte endemisch grassierte.
Im 15. Jahrhundert stellte Paracelsus weise fest, dass “Medizin tötet, Natur heilt“. Im weiteren meinte er, dass „Glaube Wunder produziert“. Händeauflegen war (und ist) ein sehr populäres Heilmittel für über Hunderte von Jahren, mit Klientel von heiligem bis königlichem Grad. Hauptsächliche Anwendungsgebiete damals: Blindheit, Lepra, Hemiplegie, Verwirrtheit.
In Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts wurden Patienten mittels schlimmsten Methoden (spucken, vergiften, schneiden, schröpfen, brandmarken, schocken) behandelt. Voltaire meinte dazu, dass „die Aufgabe der Medizin ist es den Patienten zu belustigen, während die Natur die Krankheit heilt“.
Historiker haben die Tendenz, die prähistorische und parawissenschaftliche Medizin zu glorifizieren. Bis zum zwanzigsten Jahrhundert haben sich Mediziner neuen Medikamenten wie an einem Smörgasbord dient; kam ein neues Medikament auf dem Markt, war es gut für alles. Trosseau bemerkte das schon 1833 und empfahl den Leuten „eilet euch, das neue Medikament zu benützen, solange es noch wirkt“.
Das Ausmass von Placebo & Nocebo
Evans (1985) schätzte die Schmerzlinderung durch Placebo, verglichen mit Morphin oder Aspirin, auf 55-60 %. Heeg et al (1977) überprüften darauf hin sorgfältig Doppelblind-Studien; in den 50iger Jahren ist nach Beecher die Schmerzlinderung für über 35 % auf Placebo zurück zuführen; demnach wird der Placebo Effekt auf 1/3 eingestuft.
In zeitgemässen Studien zeigten in den USA 90% von 6900 Patienten, die an milden Symptomen wie Asthma, ulcus duodeni oder Herpes litten, exzellente oder gute Erfolge durch nutzlose Therapien. Eine kürzlich erschiene australische Studie zeigte, dass 72% der getesteten Personen mit Rheumatoider Arthritis nach einer “falschen“ Lasertherapie über weniger Schmerzen berichteten (Heeg et. al 1997).
Das U.S. Office of Technology Assessment schätzt, dass nur etwa 20 % der modernen Medizin im gängigem Gebrauch als wissenschaftlich effektiv erwiesen seien. (Brown 1998)
Auch Nocebo kann dramatische Auswirkungen haben. Insgesamt 80% der hospitalisierten Patienten, denen Zuckerwasser verabreicht wurde mit der Deklaration, es sei Brechmittel, mussten tatsächlich erbrechen. (Kissel & Barrucand, zitiert Von Hahn 1997a,b.)...
Typische Fehler durch unbewusstes Placebo können z.B. bei Missinterpretation des Schmerzmechanismus. Ein Beispiel: Patient A. hat dominant zentralen (in der Verarbeitung) Schmerzmechanismus, ist sehr verunsichert (braucht v.a. Sicherheit und Information),wird als peripher nozizeptiv mechanisch eingeschätzt und demzufolge auch als mechanisches Problem behandelt (z.B. manuelle Mobilisation L5). Patient A. geht es besser, Therapeut B. ist im Glaube, die gewählte Technik sei die richtige und plant in Zukunft damit fortzufahren. Stattdessen profitierte der Patient von der durchgeführten Behandlung, weil der Therapeut sehr sicher aufgetreten war.
Einem Patient soll stets eine Diagnose genannt werden. Studien beweisen (Brown 1998), dass Patienten mit Diagnosen schneller genesen, als jene, welche mit ihrem Problem im Dunkeln gelassen werden. Erklärung, Versicherung, Vertrauen, Wärme und Empathie gekoppelt mit der zu Kenntnisnahme der pathobiologischen Mechanismen, verwandelt Placebo in eine spezifische Behandlungsmethode. Der Glaube versetzt Berge. Das Medizinalsystem hat in den letzen Jahrzehnten ein Patient grossgezogen, der Schmerz als Beweis für einen zu korrigierenden strukturellen/biomechanischen Schaden (der Wirbelsäule) (Zusman 1998) sieht.
Hands-on Therapie ist oft sehr erfolgreich; belohnend rapide und dramatische Behandlungserfolge erfüllen den Therapeuten mit Stolz auf sein scheinbar erfahrenes Handling (Harding & Williams 1995). Ist der Therapeut in seinen Techniken und Methoden überzeugt, vermittelt er einen sicheren und autoritären Eindruck. Ein für viele Patienten wichtiges Element; Placebo durch warme Hände umhüllt. Leider tendieren Therapeuten dazu, den Patienten die Schuld zuzuschieben, falls die Behandlung nicht zum erwünschten Resultat führt; stattdessen sollten sie die Schuld bei sich selber suchen – nämlich die fehlende Erkenntnis, dass Placebo den grössten Anteil der Behandlung ausmachen. Wären auch Probleme der Patienten rein mechanischen Ursprungs, so würden alle durch die ausgezeichneten physiotherapeutischen Anwendungen zu 100 % geheilt. Aber das ist bekanntlich nicht der Fall.
Ein Paradigmawechsel , d.h. weg vom rein strukturorientiertem und hin zum biopsychosozialem Ansatz ist dringend nötig und in letzter Zeit explizit erläutert worden. Gifford (1998) plädiert in seinem „Mature Organism Model“ für Integration von modernen Schmerzwissenschaften und einem biopsychosozialen Modell einen reinen mechanisch/technischen Behandlungsansatz...
Der Beruf des Physiotherapeuten verlangt gutes Handling sowohl im wissenschaftlichem als auch im Feld vom Umgang mit Menschen; Placebo-Effekt stellt die Spannung zwischen diesen zwei dar (French 1998). Eine ernsthafte Beziehung, aufgebaut auf dem Glauben an die Therapie, soll von Placebo umhüllt sein, wie vorgeschlagen bei Butler (1999). Eine positive Einstellung gibt Hoffnung. Möglichkeiten, Fortschritte in Zielen zu messen, müssen zur Ermutigung des Patienten gegeben sein. “Be there for long term, not for the quick fix“.
Placebo und Ethik
Paracelsus meinte: „es spielt keine Rolle ob es Gott oder Satan ist, Engel oder Magie, Hauptsache der Patient wird besser“ (Shapiro & Shapiro 1997)
Luomajoki HA (2002): Placebo – Bedeutung in der Physiotherapie. Fisio-Zeitschrift. 8/2002
Liebe Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, ich schreibe derzeit meine Bachelorarbeit zum Thema „Autonomieerleben und Burnout bei Physiotherapeut*innen in Deutschland“ im Studiengang...